Teil 1: Chris

Es war mal eine kleine Biene, die hieß Bah. Bah war eine ganz besondere kleine Biene. Sie hatte erst viel später fliegen gelernt als ihre großen Brüder und sie konnte auch nicht so schnell und gerade fliegen wie sie. Die anderen Bienen waren immer schon weg und Bah kam gar nicht hinterher.

Dafür hatte Bah ein ganz tolles Lachen. Wenn Bah lachte, dann lachte sie ganz lang und lachte und lachte und es klang so lustig, dass alle, die es hörten, mitlachen mussten. Und Bah liebte es, wenn etwas schief ging. Wenn ihr großer Bruder bei Tisch ein Glas umschüttete und der ganze Saft über den Tisch lief oder die Mama beim Fliegen nicht nach vorne guckte und gegen einen Ast flog und ‚pa‘ auf der Erde landete, dann lacht Bah und lachte bis alles wieder gut war.

Bah hatte eine große Familie: Es gab Papa und Mama und drei große Brüder, die alle schneller fliegen konnten als Bah. Sie hatten Bah sehr lieb und haben auf sie gewartet und nach ihr gerufen, wenn Bah nicht nachkam, aber manchmal wollte Bah woanders gucken und ist in die falsche Richtung geflogen. Da mussten Mama und Papa und die drei großen Brüder umkehren und nach Bah suchen. Oft hatten sie Angst um Bah und wenn sie sie gefunden hatten, dann lachte Bah so lange bis sie alle lachten und niemand ihr böse sein konnte.

Aber für Mama und Papa war es sehr anstrengend und sie sind immer müder geworden. Sie mussten den Nektar sammeln, Honig machen, auf die großen Brüder aufpassen und ihnen alles beibringen, was eine große Biene wissen muss und dann immer gucken, ob Bah noch da war und sie suchen, wenn sie wieder mal verschwunden war.

So kam es, dass Papa eines Tages sehr krank wurde. Er lag nur im Bett und konnte gar nicht mehr fliegen. Jetzt musste Mama alles alleine machen und das war sehr viel.

An einem schönen Tag dachte Bah: „Oh, die anderen werden gleich Nektar sammeln. Ich bin viel langsamer und möchte auch mit. Da fliege ich schon mal voraus.“ Sie kletterte also aus dem Haus und flog weg. Sie fand ganz tolle rote und blaue und gelbe Blumen und der Nektar war so lecker, dass Bah ihn direkt aufgegessen hat und dabei ganz vergaß, dass sie ihn eigentlich für den Winter sammeln sollte. Bahs kleiner Bauch wurde rund und runder und als sie keinen Tropfen Nektar mehr essen konnte, da suchte sie sich ein weiches Blatt mit kleinen weißen Härchen und kuschelte sich darauf, legte die Flügel um ihre Beine und schlief ein. Die Sonne wärmte sie und das Blatt schaukelte sie sanft im Wind hin und her.

Biene Bah schläft, M B-K 2015

Als Bah wieder aufwachte, wusste sie nicht mehr, wo sie war. Auch hatte sie vergessen, wie man nach Hause kommt. Sie setzte sich verdutzt auf das Blatt und guckte in die Sonne. Auf einmal wurde sie immer trauriger. Bah bekam ein ganz komisches Gefühl in den Bauch. Sie war ganz alleine. Und dann rollten die ersten Tränen über ihr Gesicht und sie fing ganz furchtbar an zu weinen. Und als sie so dasaß und in der Sonne weinte, setzte sich auf einmal eine andere Biene neben sie: „Hallo, wer bist den du? Dich habe ich hier noch gar nicht gesehen!“ „Hallo, ich bin Bah“, antwortete Bah, „und wie heißt du?“ „Ich heiße Chris“, sagte Chris. So saßen sie eine Zeitlang schweigend auf dem Blatt und schaukelten zusammen im Wind. Da sagte Chris: „Ich will nach Hause, kommst du mit?“ und Bah kam mit.

Chris und Biene Bah, M B-K 2015

Bei Chris war es ganz anders als in Bahs Familie. Chris war auch gar nicht schnell vorgeflogen, sondern einfach langsam neben Bah her. Es tat gut, sich mal nicht beeilen zu müssen. Bei Chris gab es viele kleine Bienen, die auch manches nicht so gut konnten und es gab viele große Bienen, die sich abwechselten, um auf die kleinen Bienen aufzupassen, mit ihnen zu spielen und den leckeren Nektar von der Blumenwiese zu sammeln. Und weil es so viele große Bienen gab, konnten sie sich immer wieder ausruhen.

Das war eine Aufregung, als Chris mit Bah dort eintraf. Alle kleinen Bienen flogen und krabbelten um sie herum, jede wollte etwas wissen:

„Wo kommst du her?“

„Wie alt bist du?“

„Wie heißt du?“

„Magst du auch so gerne Nektar-Eis?“

Als Bah die vielen Fragen hörte, musste sie ganz doll lachen. Wer kann denn so viele Fragen beantworten? Und Bah lachte und lachte. Und alle anderen Bienen lachten einfach mit, die Kleinen und die Großen bis sie sich den Bauch halten mussten vor Lachen und alle durcheinander kugelten. Und als sie wieder sprechen konnte, sagte Chris zu Bah: „Du kannst so toll lachen, das hat uns allen Spaß gemacht. Willst du nicht bei uns bleiben?“

Und Bah wollte bei den vielen großen und kleinen Bienen bleiben und Bah wollte auch zu Papa und Mama und ihren großen Brüdern, denn die hatte sie auch ganz doll lieb. Das sagte sie Chris und die konnte das sehr gut verstehen.

Also wurden zwei große Bienen geschickt, um Bahs Eltern zu holen und die drei großen Brüder gleich mit. Na, die staunten nicht schlecht als sie ankamen, dass Bah so eine lustige Gruppe gefunden hatte. Jetzt setzten sich alle großen Bienen zusammen und besprachen alles. „Also“, sagte Chris, „wir haben ein Problem: Bah möchte bei uns bleiben und bei euch. Sie möchte mit uns lachen und mit euch kuscheln. Und wir möchten Bah behalten und ihr auch!“ Und so redeten sie hin und her und alle wollten, dass Bah und Papa und Mama und die drei großen Brüder und die kleinen Bienen und die großen Bienen glücklich sind.

Und auf einmal kletterte die kleinste Biene auf Chris‘ Schoß und sagte: „Ik haps, ik haps. Das is doch nich schwer: Bah kricht zwei Zuhauses!“ Und alle jubelten und freuten sich, weil so alle glücklich werden können. Bah hat viele kleine Bienen als Freund*innen und ihre großen Brüder zum Liebhaben. Die großen Bienen freuen sich an Bahs Lachen und Mama und Papa können sich immer wieder erholen und ihre süße kleine Biene Bah in die Arme schließen.

Und seit diesem besonderen Tag lebt Bah manchmal bei Chris und den kleinen und großen Bienen und manchmal bei Papa und Mama und den drei großen Brüdern.

Und manchmal besuchen sie sich auch noch.

Martina Brauckmann-Kleis 2015

2 Gedanken zu „Teil 1: Chris

  1. 2 Zuhause kann auch heißen, dass sich Probleme verteilen und auf neue Schultern ruhen können.
    Ich liebe sie! Hab sie meiner Tochter vorgelesen und sie hatte viel Freude an den Geschichten. Mal eine kreative Abwechslung zu den klischeegesteuerten Mainstraimgeschichten von Mädchen mit Pferden, roten Bändern im Haar, etc…
    Ihr und mir gefielen auch die Bilder sehr!
    Bin gespannt wie’s weitergeht…
    Liebe Grüße
    Rob

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